22.02.2012 Stellungnahme forumReutlingen

Kurzübersicht


1) Inhaltliche Grundfragen
zu den Entwicklungslinien Reutlingens in City Nord müssen (durch den Gemeinderat) geklärt werden, um die (noch) inhaltsleeren Volumen (Kubaturen und Nutzungsflächen) mit Leben zu füllen und damit eine konkretere Grundlage zu einem nächsten, vertiefenden Planungsschritt einzuleiten.

2) Echazterrassen vs. Burkhard & Weber Straße
Wir begrüßen die Absicht, durch die Echazterrassen einen neuen Ort mit Aufenthaltsqualität entstehen zu lassen, sehen allerdings einen fundamentalen Widerspruch darin, an dieser ohnehin durch die Gutenbergstraße verkehrsbelasteten, schwierigen Stelle noch zusätzlich eine Entlastungsstraße (Verlängerung der Burkhard und Weber Straße) zur Karlstraße neu zu schaffen und praktisch direkt an dieser Stelle vorbei führen zu wollen. Dadurch wird unserem Eindruck zufolge die eigentliche Intention, die Schaffung eines neuen urbanen Erholungsraumes, ad absurdum geführt.

3) Die Wohnquartiere und das Zollquartier müssen mehr bzw. ein Profil bekommen.
Keine Worthülsen, sondern konkrete Vorgaben: z.B. Nullenergie/Plusenergie, Pilotprojekte bzgl. Nachbarschaftsmodellen, Wohnformen, Technologien usw. gezielt fördern und bewusst innovative Lösungen in die Stadt holen.

4) Buntes dynamisches Kulturquartier und Mediencluster für Kreative aller Sparten
zwischen Post und franzK
Es braucht adäquate Rahmenbedingungen, damit entlang der Echaz tatsächlich eine verbindende Achse zu einem neuen kulturellen Kompetenzzentrum entsteht. Hier gilt es, positive Wechselbeziehungen zwischen der zukünftigen Stadthalle, der Stiftung für konkrete Kunst, dem Kunstverein, dem Industriemuseum und franzK zu stärken. Letzteres wirkt bislang profilgebend für die zukünftige City Nord und impulsgebend für die entstehende Stadthalle. Auch zur Stärkung der Stadthalle ist daher jede mögliche Schwächung des erfolgreich
funktionierenden franzK zu vermeiden. Insbesondere wie durch die angedachte durchschneidende Burkhard-Weber-Straße. Wir sind überzeugt davon: die Stadt gewinnt langfristig, wenn sie an dieser Stelle den Ort im Sinne des bereits vorhandenen entwickelt, und nicht den (Durchgangs)Verkehr.

5) Verkehr
Grundsätzlich:
Eine Erschließungsplanung und Entscheidungen über Straßenführungen in City Nord ergeben unseren Fachleuten zufolge keinen Sinn, bevor nicht über den Verkehrsentwicklungsplan beraten und entschieden wurde – wir halten es in diesem Zusammenhang auch für bedenklich, vorzeitige verkehrliche Fakten zu schaffen, deren Ursprung nicht notwendiger Weise die Betrachtung der gesamtverkehrlichen Entwicklung von Reutlingen zur Grundlage hatte.
Burkhard-Weber-Straße
Wir stellen aufgrund der bislang prognostizierten Zahlen die Notwendigkeit einer neuen Straße grundsätzlich in Frage. Konsequenterweise sollte Durchgangsverkehr aus der Innenstadt gehalten werden, indem man ihn auch tatsächlich um die (Innen-)Stadt herum führt (z.B. auf der B 28 OU (Richtung Tübingen) oder Achalmtunnel (Pfullingen/Alb/Bodensee) und nicht auf anderen Wegen mitten durch. Es liegt im Interesse unserer Stadt, ein zusammenhängendes Kulturquartier nicht zu durchschneiden und eine noch stärkere Isolierung der Einrichtungen in und um das Bürgerspital zu vermeiden.

Verkehr & Tübinger Vorstadt
Hinter City Nord geht es weiter. Auch die Planung muss da weiterdenken. Keine Schnellschüsse mit Verdrängungseffekten, sondern ganzheitliche Planung!

City Nord & Regionalstadtbahn
Es müssen in einem weiteren Planungsschritt Möglichkeiten für eine Stadtbahnanbindung in den Nordraum entwickelt werden.




Konkretisierung der einzelnen Positionen


1. Entwicklungslinien und Inhalte

1.1 Freiraumqualität Echazterrassen versus Entlastungsstraße (Burkhard-Weber Straße)

Wir sehen eine eindeutige Qualität darin, sich ganz bewusst zu den Echazterrassen als eine identitätsstiftende neue Freiraumfläche zu bekennen. Dadurch wird auch die Echaz als Reutlingens „Wasser in der Stadt“ stärker in den Fokus gerückt. Doch der Ort ist schwierig, denn er liegt bekanntlich zugleich an der viel befahrenen Gutenbergstraße.
Wir sehen einen fundamentalen Widerspruch darin, an dieser ohnehin verkehrsbelasteten Stelle dann noch zusätzlich eine Entlastungsstraße zur Karlstraße neu zu schaffen (Verlängerung der Burkhard und Weber Straße bis zum Knoten Gutenbergstraße) und praktisch direkt an diesem neuen urbanen Erholungsraum vorbei führen zu wollen. Es scheint aus unserer Sicht anspruchsvoll genug, den Verkehr der Gutenbergstraße wirkungsvoll von den Echaz-terrassen abzuschirmen (eine Frage, zu der wir gerne Lösungsvorschläge hören würden).

Wer sich zu den Echazterrassen bekennt, muss für den Verkehr eine andere Lösung
präsentieren.


1.2 Klares Profil für das neue Wohnquartier „Unter den Linden“ und das Quartier an der Karlstraße

Wer soll dort wohnen? Wie? Und warum? Was wird der besondere Charakter dort sein?
Die Stadt sollte mehr Parameter vorgeben. Die Quartiere sollten schon im Vorfeld weiterer Planungen ein klares Profil und Image bekommen. Nicht einfach eine wohlproportionierte Ansammlung von Volumen, die noch völlig inhaltsleer sind, sondern Leitlinien dazu, mit was sich die Volumen dann im Rahmenplan füllen sollen.

Was könnte das jeweilige Rahmenprofil des Quartiers sein? Daraus ergeben sich dann auch wieder Antworten auf Fragen bzgl. Verkehr, Infrastruktur etc. „Unter den Linden“ – also grün? „Am Friedhof“ – also ruhig? „Wohnen in der City und in Bahnhofsnähe” – also urban? „In Reutlingen wohnen und in Stuttgart arbeiten“ – Wie kann man ein solches Klientel mit überzeugend attraktiven Quartieren neu in die Stadt locken?
Keine allgemeinen Worthülsen sind gefragt sondern konkrete Vorgaben für zukünftige Planungen: z.B. Nullenergie & Plusenergie; Prämierung zukunftsweisender Nachbarschaftsmodelle und innovative, auch für Familien bezahlbare, dennoch stylische, gefragte, altersgerechte, ökologische Wohnformen; passen Car-Lofts und reduzierter Motorisierungsgrad zusammen?; innovative Mobilitätsmodelle (und: wo wäre die Verbindung zu einer Richtung Tübingen weitergeführten Regionalstadtbahn denkbar?), hohe Bebauungsdichte bei kleinteiliger Parzellierung, usw.


1.4 Zollviertel

Dasselbe gilt für das Zollviertel. Nicht nur ein weiteres gesichtsloses 0815-Gewerbegebiet andenken. Sondern Entwicklungslinien/ -ziele vorgeben, was dort sein soll oder was dort eben nicht sein soll.
Was muss man noch nach Reutlingen holen, um ein attraktives Profil für die City Nord herauszubilden? Wie kann Reutlingen hier Raum für innovative, zukunftsorientierte Modelle/ Angebote schaffen? Und wie kann die Trennwirkung der Bahnlinie reduziert werden.

Z.B. innovativer tertiärer Sektor / ggf. Anbieter aus dem wachstumsstarken komplementären Gesundheitssektor, der von der Nähe zum Bahnhof profitiert.

Z.B. innovative Lösungen aus dem Segment „Stadtgrün“ könnten hier als Pilotprojekte im Zusammenhang mit Lärmschutz gefördert werden… usw.


1.5 Buntes, dynamisches Kulturquartier rund um das Postareal

Für den Bereich Unter den Linden, an den Echazterrassen und hinter der Post gilt das selbstverständlich auch. Inhalte beeinflussen die Planung – die Form folgt der Funktion.


Das „Kulturband“ macht aber nur Sinn MIT franzK. Das franzK ist für die propagierte Kulturmeile eine wichtige profilgebende Adresse. Die Planungen dürfen das franzK daher in keiner Weise abwerten (z.B. die derzeit noch geplante B&W-Straßenführung), sondern müssen seinen Standort grundsätzlich und zusätzlich aufwerten.
Auch die zukünftige Stadthalle profitiert von einem funktionierende franzK. Angebunden an das franzK ergibt z.B. auch ein Platz für Circus/Openair als Ersatz für den Wegfall an der Stadthalle und die für bisherige Veranstaltungen wie z.B. das Festival „Kultur vom Rande“ viel zu kleine open-air-Fläche um das Bruderhaus einen Sinn.


Wie kann man das Areal derart gestalten und beleben, dass es zu einem belebten neuen urban inspirierten Zentrum wird? Wie kann man die Kulturschaffenden und kulturnahe Dienstleister hier konzentrieren und ein attraktives Zentrum aktiv fördern? Will die Stadt das? Dies bedeutet (und das unterstützen wir sehr), das Gelände ausdrücklich NICHT als klassische Shopping-Zone zu entwickeln.

Hier sei nochmals an unseren Vorschlag einer „Stiftung Einzelhandelsentwicklung“ erinnert. Es wäre aus unserer Sicht wünschenswert, Entwicklungslinien und -ziele auch in Abstimmung mit den Plänen und Ideen für die Altstadt substanziell zu fördern und Anregungen zu geben. Ein erster Schritt könnte sein, dass die Stadt (der Gemeinderat) Rahmenvorgaben und Etappenziele definiert.
Hinter der Post könnte (bzw. muss geradezu) ein junges, dynamisches, buntes Kreativquartier mit kulturnahen Anbietern (deren Anker mit Packma und Media Markt schon angesiedelt sind), Agenturen, Studios, Start-Ups der Hochschule, Werkstätten, vielfältigem Spektrum an Gastronomie, Galerien usw. entstehen  ein Mediencluster für Kreative aller Sparten.

An erster Stelle muss sich die Stadt dazu bekennen. Und dann folgen die nächsten Schritte. Was benötigt dieses Quartier, um als bunter neuer Magnet in der Stadt sein ganz eigenes kulturinspiriertes Gesicht zu bekommen und die öffentlichen Räume rund um die Echazterrassen tatsächlich zu beleben?


Entscheidet man sich für ein solches kulturelles urbanes Kompetenzzentrum mit einzigartiger Aufenthaltsqualität an den Echazterrassen, dann erscheint es nicht sinnvoll, die bestehende Trennwirkung der Bahnlinien zusätzlich mit einer neuen trennenden Burkhard Weber Straße zu zerschneiden. Die stadträumlichen Qualitäten für die oben erwähnten Nutzungen würden damit zerstört, bzw. gar nicht erst entstehen.
Aus unserer Sicht spricht alles dafür, an dieser Stelle den Ort zu entwickeln, nicht den (Durchgangs)Verkehr.




2. Verkehr


2.1 Alternativen zur ´Entlastung durch Burkhard-Weber-Straße

Solche Planungsalternativen sind dringend gefragt. Die vorgeschlagene Lösung kann nicht befriedigen. Wir stellen zudem die Notwendigkeit einer neuen Straße grundsätzlich in Frage.

Wenn nach Äußerungen von Herrn Hubert-Erler (Verkehrsgutachter der Stadt Reutlingen und Jurymitglied) der Verkehr auf der Karlstraße zu über 2/3 aus Ziel und Quellverkehr der Innenstadt besteht, dann können diese schon einmal nicht über die B&W-Straße fahren, sondern diese werden weiterhin ihren Weg in die Oststadt und Innenstadt suchen. Zieht man zudem die prognostizierten 20 Prozent Entlastung durch den Achalmtunnel vom restlichen Drittel ab, dann entsteht lediglich eine neue, trennende Schneise durch die Stadt die letztlich nicht entlastet, sondern dafür sorgen wird, dass noch mehr Verkehr in die Reutlinger Innenstadt geführt, anstatt um sie herum abgeleitet wird.
Die prognostizierten Entlastungszahlen bzgl. Karlstraße lassen daher zu wünschen übrig. Die Datenbasis reicht nicht für einen solch problematischen Einschnitt in das Stadtgefüge. Vor diesem Hintergrund sollte man vernünftigerweise gar nicht weiter über diese Option reden. Ein großes Problem für Stau- und Feinstaubbelastung bildet die Lederstraße.
Die B&W-Straße hat hierfür keinerlei entlastende Wirkung. Durch die Schaffung einer neuen Durchgangsmöglichkeit würden im Gegenteil weitere Gebiete neu belastet (Flechtenkarte).
Vielleicht könnte man als Probelauf vor der Schaffung irreversibler Fakten testweise die bestehende B&W-Straße hinsichtlich ihrer Entlastungfunktion prüfen, indem man die Karlstraße provisorisch verkehrsberuhigt /-beschränkt und den überörtlichen Verkehr mit entsprechender Beschilderung z.B. über die B 28 ausleitet.Wir meinen außerdem: Eine Erschließungsplanung und Entscheidung über Straßenführungen in City Nord sollte nicht erfolgen, bevor nicht der Verkehrsentwicklungsplan in der Öffentlichkeit vorgestellt, beraten und insgesamt vom Gemeinderat verabschiedet wurde.Schließlich sind wir der Ansicht: Wenn man Durchgangsverkehr aus der Innenstadt halten will, dann sollte man ihn auch drum herum führen und nicht auf anderen Wegen mitten durch. Was spricht gegen eine Straßenführung, die das neue Wohnquartier „Unter den Linden“, als auch das bis zum franzK als fortgeführte Fußgängerzone mit Echazterrassen geprägte Kulturquartier verkehrsberuhigt und dennoch gut erschließt. Zudem könnte hierdurch auch einer Isolation des Bürgerspitals entgegengewirkt werden.

2.2 Tübinger Vorstadt
Hinter City Nord geht es weiter.
Auch die Planung muss da ganzheitlich weiterdenken. Die gegenwärtigen Vorschläge zur Straßenführung können nicht ausschließen, dass sich der Verkehr seine Schleichwege durch die Tübinger Vorstadt sucht. Das kann nicht die Lösung für Reutlingen sein.

2.3 Regionalstadtbahn
Es müssen in einem weiteren Planungsschritt Möglichkeiten für eine Anbindung der Regionalstadtbahn in den Nordraum entwickelt werden. Das derzeitige City Nord-Konzept bietet dazu keinerlei Möglichkeiten, das Stadtbahnkonzept in den Reutlinger Norden (in dem knapp ein Drittel der Bevölkerung wohnt) weiter zu entwickeln.


3. Abschließende Gedanken zur Bürgerbeteiligung

Schön, dass es die Möglichkeit dieser schriftlichen Stellungnahme gibt!
Wir nahmen gerne die Gelegenheit wahr, unsere Überlegungen zu den Wettbewerbsergebnissen und den weitergehenden Planungen sowohl den zu beauftragenden Büros als auch den Entscheidungsträgern unserer Stadt zugänglich zu machen.

Nach der Prämierung zweier erster Preise der überarbeiteten Wettbewerbsbeiträge werden in der Folge grundlegende Fragen zu klären sein, die v.a. die Beplanung des Areals jenseits der Bahnlinien, Richtung Friedhof und Tübinger Vorstadt, betreffen. Dabei nimmt der Gemeinderat eine wichtige Stellung ein, denn der Gemeinderat ist befugt, nach gründlicher Beratung diese Entwicklungslinien und -ziele vorzugegeben. Sie sind aus unserer Sicht auch für die weiterführende Planung der beauftragten Büros wichtig. Bürgerbeteiligung – im Sinne der Erschließung urbaner Kompetenz – kann hierbei den Gemeinderat sinnvoll unterstützen.

Bürger sind kompetente Experten ihrer Stadt, nicht nur hinsichtlich ihrer Alltagserfahrung in Reutlingen zu leben und/oder zu arbeiten. Viele sind Fachleute in den unterschiedlichsten Gebieten. Wir sind sehr daran interessiert, gemeinsam Mittel und Wege zu finden, dieses
facettenreiche Wissen unserer Stadt zur Verfügung zu stellen.

Wir sind uns bewusst, dass Beteiligungsprozesse eine aufwendige, arbeitsintensive und anspruchsvolle Aufgabe für eine Stadt darstellen. Das „Meinungsbuch“ während der Ausstellung erscheint uns allerdings als Beteiligungsform, insbesondere für die individuell interessierten Bürgerinnen und Bürger – die ja aus Sicht der Verwaltung eine wichtige Zielgruppe darstellen–weder als ansprechende, noch als die geeignete Form, Beteiligung zu ermöglichen oder zu dieser zu motivieren. Da waren die Meinungsblätter vom letzten Mal viel besser. Diese konnten wahlweise mitgenommen und in Ruhe ausgefüllt oder diskret vor Ort formuliert werden. Wer steht Schlange vor diesem Buch? Der Bucheintrag als solcher ist bereits mit einer höheren Hemmschwelle verbunden als eine Zettelnotiz (oder – als denkbare Variante – z.B. ein paar Stichworte auf einer „Kritik-/Visionskarte“ die man anschließend als eine unter vielen an eine Stellwand pinnt).


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